von Marion Oremek
Es war einmal ein eisig kalter Wintertag im Dezember. Der Kalender zeigte den 24. Alle Kinder auf der Erde waren schrecklich aufgeregt, denn die kommende Nacht war die Nacht der Nächte. In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember warteten alle Kinder der Erde auf den Weihnachtsmann.
Auch oben im Himmel waren alle Englein schrecklich aufgeregt. Wie sie alle diesen Tag liebten. Wenn sie auf die Erde schauten, sahen sie so viele glückliche Menschen, so viele leuchtende Kinderaugen - man spürte die Liebe überall. Goldlöckchen, eins der Engel, klein, flink und unglaublich neugierig, hielt es auf ihrer Wolke nicht mehr aus. Sie schlich leise zu ihrem kleinen goldenen Schränkchen, packte ihre funkelnde Trompete in ihren Rucksack, und flog hinab zur Erde.
Ohhhhhh…. wie groß hier alles war. Oben von ihrer Wolke sah alles so herrlich weiß und klein aus, aber unten angekommen, machte es ihr ein wenig Angst. Wo war sie nur gelandet? Sie schaute sich um. Was gab es zu sehen? Große Gebäude standen um sie herum. Es gab bunte Kleidung, Taschen, Telefone, Brillen, Brot und Backwaren in den Auslagen. Alles war hübsch geschmückt, aber wo war sie nur? Sie lief auf ein hell beleuchtetes Gebäude zu. Es duftete nach frischem Kaffee und leckeren Waffeln. Goldlöckchen drückte sich die Nase am Fenster platt, und schaute durch die Scheibe auf die voll besetzen Tische und Stühle. Wie gerne hätte sie jetzt auch einen warmen Kakao….. ihr war so kalt….
Tief in Gedanken, spürte Goldlöckchen auf einmal, dass sie beobachtet wurde und schaute sich um. Hinter ihr stand ein großer, bärtiger Mann mit grauen Haaren. Seine Nase war von der Kälte ganz rot, und seine runde Nickelbrille war vom kalten Nieselregen völlig beschlagen. „Kleine“, sagte der Mann, „du zitterst ja! Um diese Jahreszeit in einem so dünnen Kleidchen – das ist doch viel zu kalt. Komm, ich lade dich ein. Heute ist Heiligabend, und ich möchte einen Kakao mit dir trinken. Ich habe noch etwas Zeit, denn um 16:30 Uhr muss ich pünktlich am alten Rathaus sein“. Goldlöcken war froh und glücklich, endlich aus der Kälte zu entkommen. Geld gab es im Himmel ja nicht, und so hätte sie selbst nirgendwo einkehren können.
Drinnen war es noch viel gemütlicher, als es von draußen aussah. Es war warm und hell. Ein geschmückter Weihnachtsbaum stand in der Ecke. Der Duft von heißem Kakao und frisch gebackenen Waffeln war so intensiv, dass Goldlöckchen schon das Wasser im Mund zusammenlief. Knut, so hieß der bärtige Mann, bestellte 2 Kakao. Die beiden tranken, saßen und redeten, lachten und scherzten, und es lag Frieden in der Luft. Knut erzählte Goldlöckchen von seinem langen Leben, seinen Reisen, seinen Erlebnissen im Beruf, seiner Frau und seinen Kindern. Auch Enkel gab es in der Familie, und man spürte an Knuts Geschichten, wie sehr sein Herz an diesen kleinen Wesen hing.
Goldlöckchen überlegte sehr lange und sehr genau, aber dann entschied sie sich, Knut in Ihr Geheimnis einzuweihen. Sie rutschte ganz nah zu ihm, und flüsterte ihm ins Ohr, ganz leise, damit es ja niemand außer ihm hören konnte: „Ich“, sagte sie, „bin ein Engel“…… Knut schmunzelte in sich hinein. Als hätte er es nicht schon längst geahnt……
Die Zeit verging wie im Flug. Die beiden waren so ins Gespräch vertieft, dass sie beinahe die Zeit vergaßen. Plötzlich schreckte Knut zusammen. „Oh nein, ich muss mich beeilen,“ sagte er. „Es geht doch pünktlich um 16:30 Uhr los“. „Was geht los?“, fragte Goldlöckchen, die die plötzliche Hektik gar nicht verstand. „Na, das jährliche Turmblasen hier bei uns im Städtchen. Jedes Jahr am Nachmittag des Heiligabends treffen sich ganz viele Menschen auf dem alten Rathausplatz. Das ist eine Tradition, die es schon sehr sehr lange gibt. Als Kind bin ich mit meinen Eltern dorthin gegangen, und jetzt, wo ich selbst Vater, und sogar schon Großvater bin, treffe ich mich dort mit meiner Familie, meinen Freunden, und ganz vielen Menschen, die ich kenne und mag. Vom Turm der Vincenz Kirche erklingt das Turmblasen. Danach läuten die Glocken, und dann, ja dann beginnt auch hier in Menden die Heilige Nacht“, erklärte Knut.
Gemeinsam verließen sie das kleine Café, und schlenderten über die Straße hinüber zum Platz, wo schon mehrere hundert Menschen auf die Turmbläser und das Läuten der Glocken warteten Knut griff neben sich, um Goldlöckchen an die Hand zu nehmen, aber….. sie war nicht mehr da. Glücklich, aber gleichzeitig auch unendlich traurig, lief er auf seine Familie zu, die er am bereits am vereinbarten Treffpunkt stehen sah. Gemeinsam lauschten sie dem Spiel der Turmbläser, und alle waren sich einig: „So herrlich hatte das Turmblasen noch nie geklungen. So klar und schön wie noch nie, aber niemand außer Knut bemerkte die kleine weiße Gestalt auf dem Wetterhahn, die dort mit himmlischem Instrument ins Turmblasen einstimmte. Nach dem Spiel läuteten die Glocke, und nun war auch in Menden Weihnachten……..
Mach´s gut, mein kleiner Engel“, murmelte Knut, „ich werde dich nie vergessen“, und eine Träne blitzte in seinem Augenwinkel.
Und Ihr das draußen? – Wollt Ihr wissen, was aus Goldlöckchen geworden ist? Ich will es Euch verraten. In jedem Jahr, pünktlich um 16:3o Uhr schleicht sie sich nach Menden. Mit ihrer goldenen Trompete begleitet sie das Turmblasen vom Wetterhahn der Vincenz Kirche aus, und winkt ihrem Freund von oben zu. Und wenn ihr gut aufpasst, könnt Ihr sie vielleicht auch einmal sehen…..
ENDE
Marion Oremek, die zweite Vorsitzende der Kulturinitiative Menden hat das Mendenener Weihnachtsmärchen anlässlich des 3. Mendener Winters geschrieben.
Wir danken den Fotografen, die uns zur Illustration des Mendener Weihnachtsmärchens freundlicherweise ihre Bilder zur Verfügung gestellt haben:
Josef Böckelmann
Horst Kühn
Siegfried Fleige
Wolfgang Kißmer